Der Hippokampus



„Tief im Inneren des Gehirns, genau genommen an der Innenseite des Schläfenlappens der Großhirnrinde, liegt jeweils rechts und links der Hippokampus. Der eigenartige griechische Name heißt übersetzt Seepferdchen, wenn auch die Form dieses Gehirnteils nur mit sehr viel Phantasie an ein solches erinnert.
Seit etwa einem halben Jahrhundert ist bekannt, dass diese Struktur für das Lernen von Ereignissen sehr wichtig ist: Soll ein neuer Sachverhalt gelernt werden, so muss er erst einmal vom Hippokampus aufgenommen werden.“

Sehr berühmt wurde der Fall des Patienten H.M., der an nicht behandelbarer Epilepsie litt. Nach langem Überlegen entschieden die Ärzte, dass sie den Hippokampus und die angrenzenden Teile des Gehirns auf beiden Seiten operativ entfernen müssen. Nach der Operation war der Patient auf dem ersten Blick völlig normal, aber nach einiger Zeit bemerkten die Ärzte, dass er unfähig war, neue Ereignisse zu lernen. Dies zeigte sich besonders, wenn die Ärzte und Psychologen ihn untersuchten. Sie mussten sich ihm bei jedem Besuch neu vorstellen, weil er nicht in der Lage war, sich die Namen zu merken.

Als Beispiel wurde auch beschrieben, dass sich H.M. immer wieder die gleiche Tageszeitung durchlesen konnte und immer wieder aufs Neue vollkommen überrascht war von den Neuigkeiten des jeweiligen Tages. Sehr schlimm wurde es, als der Patient umzog. Er fand sich auch nach längerer Zeit nicht wirklich in seiner neuen Wohnung zurecht. Doch im Gegensatz zu seiner Unfähigkeit Einzelereignisse zu lernen, hatte er keine Probleme beim Einstudieren einer Fertigkeit. Dem Patienten wurde zum Beispiel ohne Schwierigkeiten das Schreiben von Spiegelschrift beigebracht. Wissenschaftler vermuten auch, dass H.M. ebenso das Fahrradfahren absolut unbeeinträchtigt hätte lernen können.



Wissenschaftlich bewiesen wurde auch, dass Londoner Taxifahrer einen etwas größeren Hippokampus als andere Menschen besitzen. Warum das so ist, lässt sich nicht genau sagen; es gibt jedoch zwei Hypothesen die folgendes behaupten: Erstens könnte es sein, dass der Hippokampus bei manchen Menschen etwas größer ist (wie auch manche Menschen längere Beine haben) und dass diese Menschen sich besser orientieren können und daher gerade in London als Taxifahrer nicht so leicht versagen wie andere (so wie der mit langen Beinen eher die Chance hat als Sprinter Erfolg zu haben). Es ist aber auch möglich, dass der Hippokampus bei Londoner Taxifahrer ganz besonders beansprucht wird und daher wächst (ungefähr so, wie die Muskeln wachsen, wenn man viel trainiert).
Bis vor wenigen Jahren hätte man diese zwei Möglichkeiten nicht in Erwägung gezogen, denn man sah es als bewiesen, dass sich Nervenzellen nicht teilen können und das Gehirn daher ein sehr statisches Organ ist. Heute wissen wir jedoch, dass diese Annahme völlig falsch ist.

In den vergangenen Jahren wurden im Hinblick auf den Hippokampus wichtige Entdeckungen gemacht. Im Jahr 1997 wurde durch einen Versuch bei Mäusen dokumentiert, dass auch bei erwachsenen Tieren neue Nervenzellen im Hippokampus gebildet werden, allerdings nur dann, wenn sie sich in einer interessanten Position befinden. Nur ein Jahr später wurde nachgewiesen, dass sich auch Nervenzellen im Gehirn des Menschen neu bilden. Nach der Jahrtausendwende wurde erstmals bei Singvögeln belegt, dass nach der Zerstörung des „Singzentrums“ nachwachsende Neuronen das Singen eines Liedes (also einer früher vorhandenen Funktion) wieder ausführen können. Ein Jahr darauf wurde dann erstmals bei Ratten aufgedeckt, dass ganz normale Lernvorgänge nur dann ablaufen können, wenn neue Nervenzellen im Hippokampus gebildet werden.

 

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